Warum will ich Jäger werden?

Tja, ne gute Frage.

Hätte mir jemand noch im Jahr 2013 gesagt, dass ich im Jahr 2017 einen Termin für meine Jägerprüfung haben werde, so hätte ich das entrüstet zurück gewiesen. Entrüstet deshalb, weil ich zu dieser Zeit ein im besten Fall neutrales Verhältnis zur Jagd hatte. Als Ornithologe und begeistertes Mitglied im Landesbund für Vogelschutz waren Jäger einerseits Verbündete beim Wanderfalkenschutz und gaben andererseits ein Feindbild beim Kormoranabschuss ab und erregten darüber hinaus bei mir ein massives Kopfschütteln bei den öffentlichen Aussagen der Jagdverbände zu Luchs und Wolf.

Der Mensch hat durch den beginnenden massiven Eingriff in Natur und Landschaft, beginnend mit der Sesshaftigkeit vor rund 6000 Jahren im Gleichgewicht der Natur massiv mitmischt und dieses verändert.  Meist mit einer im Rückblick befremdlichen Naivität, gestalten wir Artenvielfalt und Anzahl der Individuen. Dort wo der Mensch sich durch Bejagung selbst an das obere Ende der Nahrungskette gesetzt hat und alle anderen konkurrierenden  Predatoren wie Bär, Wolf oder Luchs entweder ausgerottet, oder so stark dezimiert hat, dass das Gleichgewicht massiv gestört ist muss durch erneuten Eingriff ausgeglichen werden, da sonst andere Folgeschäde auftreten.

Dazu ein kleines Beispiel: Der Fuchs überträgt die Tollwut. Tollwut ist für domestizierte Tiere und den Mensch eine sehr gefährliche meist tödliche Krankheit. Deshalb ist es merh als vernünftig die Tollwut zu bekmpfen. Zur Ausrottung der Tollwut wurden Füchse durch präparierte Köder geimpft. Mit Erfolg. Die Tollwut gilt in unseren Breiten als entweder beseitigt oder im Griff. Der Nachteil ist, dass der Tollwut auch keine Füchse mehr zum Opfer fallen und somit die Population steigt. Füchse sind Fleischfresser, die auch gerne mal Eier und Kücken von Bodenbrüter als Beute nehmen. In dieser Gleichung bedeutet mehr Füchse weniger Bodenbrüter wie Brachvogel oder Pfuhlschnepfe. Die Natur hatte die Tollwut als bestandregulierende Massnahme für den Fuchs entwickelt. Dieses natürliche Gleichgewicht ist verschoben. Hier bemühen sich Jäger das Gleichgewicht wieder hestzustellen. Gleiches gilt für neu eingeführte Arten wie Marderhund, Mink oder Waschbär die mangels natürlicher Feinde in der Population massiv ansteigen und nicht nur den Vogelbeständen stark zusetzen.

Als Hobby-Ornithologe bin ich also schon einmal für die Reduktion von Arten die Schäden in Vogelopulationen anrichten. Somit ist Jagd für mich in manchen Bereichen Artenschutz.

Doch nicht nur die Tollwut, auch die rasante Ausbreitung der afrikanischen Schweinepest, die teils schweren Verkehrsunfälle mit oder wegen Schwarzwild und die um sich greifende und vor allem Hunde tödlich befallende Aujeszkysche Krankheit machen die Bestrebungen zur Reduktion der Anzahl der Wildschweine für mich nachvollziehbar. Wildschweine sind darüber hinaus Allesfresser die auch gerne mal ein Rehkitz oder Bodenbrüter mitnehmen.

Nur so am Rande : Die immer mal wieder zu lesenden Fälle von Wildschweinangriffen geben meines Erachtens ein sehr fokussiertes Bild der Gefährdung wieder und sind für mich kein Argument eine Bejagung zu forcieren. Die Gefählichkeit für den Menschen im Fall von rauschenden Keilern oder Bachen im Kessel steigt natürlich mit der steigenden Individuenanzahl aber insgesamt ist das Risiko für den Menschen vernachlässigbar gering.

Apropos Wildschwein, dieses schmeckt im Gegensatz zum Fuchs (OK, Fuchs habe ich nicht probiert, sondern nur gelesen, aber da war das Bild relativ eindeutig) besser und das führt mich zu meinem zweiten Punkt.

Jagd dient dem Erwerb von echter Bio-Nahrung. Ich hatte diesen Gedanken als ich mal wieder einen Tiertransporter auf der Autobahn überholte und die Schnauzen der armen Schweine aus den Beatmungsschlitzen sah. Das ist für mich kein Umgang mit der Kreatur. Stundenlanger Stress und dann das industriehafte Schlachten der Tiere durch Betäubung und Ausblutung.
Natürlich könnte ich Vegetarier werden und mich aus dieser Argumentation entfernen, aber ich esse gerne Fleisch und es gibt noch andere Arten der Tierbewirtschaftung. Aber selbst den ökologischen gehaltenen Tieren steht wegen der gesetzlichen Lage meist der letzte Weg zum zentralen und industriellen Schlachthof bevor.
Die Anzahl der Landwirte welche  ihre ruhenden und wiederkäuenden Tiere auf der Wiese durch Kopfschuss schnell und ohne Stress töten dürfen ist in Deutschland verschwindend gering.
Als Jäger habe ich alleine es in der Hand auf welche Art und Weise und wie schnell ein Tier stirbt. Wenn ich gut schieße, das Ziel richtig und gut mit dem richtigen Geschoss treffe, dann dauert der Sterbevorgang im Idealfall nur ein paar Millisekunden, im normalen Fall ein paar Minuten. Wenn ich mich schlecht verhalte, unbedingt Beute machen will und den Respekt und meine Verpflichtung einen schnellen Tod zu bringen vergesse, dann kann ich einem Tier durch meinen Fehler sehr langes Leid zufügen.
Es liegt an mir, ob ich es ertragen kann auch ohne Beute machen auf Jagd zu gehen.
Ich muss aber auch bereit sein ein durch mich verletztes und geflüchtetes Tier zu verfolgen und im schlechtesten aller Fälle mit einer Klinge (z.B. Der Saufeder) zu töten. Genau diese Vorstellung hat mich ein paar Tage beschäftigt. Bekommst Du es hin auf eine angeschossene, von Hunden gehaltene Sau zu springen und ihr die Klinge ins Herz zu stossen (nicht der Regelfall, aber ein mögliches Szenario). Erst als ich diese Frage klar mit Ja beantworten konnte habe ich mich zum Kurs angemeldet.
Das Fleisch kommt eben nicht aus dem Supermarkt, sondern wird durch das archaische Nehmen eines Lebens gewonnen.

Der dritte Punkt mutet beim ersten Lesen vielleicht etwas widersprüchlich an, aber Jagd ist eben manchmal auch Tierschutz.
Ich hatte mit meinem Auto in meinem Leben erst zwei Tierunfälle. Beim ersten ist mir auf eisglatter Strasse ein Reh seitlich in mein im Weg stillstehendes Auto geschlittert und nach beiderseitiger Verwunderung weitergelaufen, beim zweiten habe ich die Feldhasenpopulation der Insel Rügen um ein Exemplar dezimiert. Leider laufen solche Unfälle nicht immer so einfach. Oft ist das Tier schwer verletzt und schleppt sich davon. Manche verenden, manche bleiben lebenslang durch Verstümmelung und Schmerzen gezeichnet. Aber auch ohne menschliches Zutun ausgelöste Infektionen, Parasitenbefall, Erblindung oder Verletzung durch Balzkämpfe können beim Tier Leiden auslösen. Der Jäger nimmt diese in der Jägersprache „kranken“ Tiere aus der Population und erlöst sie so vom Leid. Etwas sehr ähnliches musste ich bei von meinen Katzen angebrachten Kaninchen, Vögeln, Maulwürfen und Mäusen machen, ich wusste also, dass ich das kann, auch wenn ich solche Momente nicht herbei sehnte.

Als vierten Beweggrund geht es mir um die Naturerfahrung. Ich hatte das Glück meine Kindheit und Jugend auf einem Dorf verbringen zu können. Lager im Wald bauen, Feuer machen und lange Märsche kenne ich schon lange. Ich geniese es jetzt beim Golf an der frischen Luft zu sein und beim Vogelbeobachten Berge zu besteigen oder mir Steinböcke beim Wandern anzusehen. Das Jagen verbindet diese Hobbies (na gut die Verbindung zum Golfen suche ich noch), gibt mir praktisch eine Klammer um all das. Hecken pflanzen, Hochsitze bauen, mit den Landwirten arrangieren, alleine im Wald die technische Ruhe geniessen. Das bringt die Jagd und gleichzeitig erfüllt sie ein Bedürfnis auf den untersten Stufen der Maslowschen Bedürfnispyramide: Nahrung beschaffen. Sich körperlich und geistig anzustrengen um etwas für mich und mein Selbst wichtiges zu tun. Ein Reh nicht nur zu töten, sondern es aufzubrechen, es aus der Decke zu schlagen und es zu zerwirken. Das Fleisch nachher auf dem Teller zu haben und sich erinnern was für ein wunderschönes Tier es war, dass es schnell starb und dass es nicht selbstverständlich ist Fleisch zu essen, sondern dass Verlust und Arbeit im Ergebnis steckt.
Darauf freue ich mich, da es mich auf mein eigenes Ökosystem zurückwirft. Keine Selbsterfahrung im indischen Ashram sondern Selbsterfahrung im heimischen Wald.
Ok, das klingt sehr esoterisch, aber in einer Welt in der Hippster so aussehen, also ob sie jeden Morgen einen Ster Holz vor dem Frührstück schlagen nur um dann in der Drogerie Bartöl zu kaufen, begegnet uns zwar einerseits das Wollen von archaischen Erfahrungen, aber wenn dann bitte in der Light-Version. Ich persönlich möchte halt die Full-Version.

Und last but not least finde ich den Wandel in der Jägerschaft sehr spannend. Wenn ich vor 20 Jahren als junger Umweltschutz-Student mich mit einem Jäger unterhielt, dann waren die Fronten klar. Hier ein verweichlichter Tierstreichler und dort ein trophäengeiler Ewiggestriger.
Ich gebe zu diese Position hat sich auf meiner Seite herausgewachsen und ich glaube wahrzunehmen, dass sich auch die Jägerschaft weiterentwickelt. Es kommt mit den steigenden Zahlen der Jäger auch frisches Blut und andere Denkweisen. Es kommt zu einem differenzierteren Auseinandersetzen mit den Themen. Eine meiner Lieblingszeitschriften zum Thema Jagd „Wilde Hunde“ hatte vor kurzem eine Homestory mit Tom Angelripper dem Sänger der Heavy-Metal Band Sodom. Mich hätte es fast vom Stuhl gehauen. Das Idol meiner Jugend ist seit seiner Jugend ein Waidmann. Die Bilder zeigen einen sehr zufriedenen Jäger weit weg vom stressigen Musikgeschäft. Ja, so bunt ist auch die Welt der „Grünröcke“, nur habe ich das Gefühl dass das Bunte in den letzten Jahren mehr auffällt. Ich hatte noch nie so viele gute Gespräche mit Jägern wie vor meinem endgültigen Entschluss selbst einer zu werden. Sehr vernünftige und abgeklärte Sichtweisen. Oft frei von Dogmen und sehr differenziert.

Tja und was soll ich sagen. Am Ende dieser Überlegenungen stand er Entschluss fest selbst ein Grünrock werden zu wollen (wobei mir als Fan der Serie „Firefly Serenity“ natürlich ein Brown Coat besser steht und ich auch braun als meine Farbe für Jagdkleidung auserkoren habe).

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