London und der Terror der sozialen Netze – Fangt bei den Eltern an

Mit den Eindrücken der gestrigen Ausschreitungen im Stadtgebiet von London stellt sich die Frage nach dem Segen und Fluch der sozialen Netzwerke mit denen wenige Agitatoren die Massen steuern können.

Jüngst haben die Behörden von Los Angeles bewiesen, dass im Fall von Sperrungen der wichtigsten Verkehrsader soziale Kommunikationsmedien wie Facebook und Twitter dazu benutzt werden können um das gefürchtete Carmageddon zu verhindern. Dabei leitete alleine Facebook 6,6 Millionen Menschen aus dem Großraum Los Angeles beim Login auf eine Informationsseite der Verkehrsbehörde der Stadt. Hollwood-Stars wie Tom Hanks riefen ihre Twittergefolgschaft dazu auf zu Hause zu bleiben und scheinbar halfen diese Mittel der Massensteuerung, dann das gefürchtete Chaos blieb aus. Vor diesem Hintergrund der Steuerung von Menschenmassen ist es verständlich, dass Facebook laut Spiegel einen Wert von 65 Milliarden US-Dollar hat, weil es 600 Millionen Nutzer erreicht. Damit bietet es den Marketingabteilungen der Unternehmen die Möglichkeit neue Märkte ohne die sonst übliche langwierige Werbe- und PR-Maßnahmen streuverlustarm zu erschließen.

Im Fall der Revolutionen in Tunesien und Ägypten sehen wir wie zweischneidig diese Steuerungsfunktion sein kann. Mit unseren westlichen Augen betrachtet haben die sozialen Netzwerke dazu beigetragen, dass sich Menschen, die von der regierenden Schicht augenscheinlich unterdrückt wurden, sich virtuell organisierten und sich  in der realen Welt trafen und demonstrierten. Aus dem Blickwinkel der Sicherheitskräfte dieser Länder waren die sozialen Netzwerke ein Instrument des Terrors, welches unbedingt gestört werden musste. Im Fall von Facebook können durch einfache Eingriffe in die Struktur des Internets viele Webseiten einfach gesperrt werden. So haben Pakistan, welches nach dem Rücktritt der Militärführung langsam in den fundamentalen Islamismus zu rutschen scheint, und Bagladesch, wo die Scharia Grundlage des Rechtssystems ist,   den Zugang ihrer Bürger zu Facebook unterbunden, da dort unislamische Inhalte gezeigt werden (könnten). Somit liegt der Einschätzung der sozialen Netze bezüglich Gefahr und Nutzen wie bei so vielen Dingen im Auge des Betrachters.

Im Fall der gestrigen Ausschreitungen in London zeigt sich, dass mit Hilfe von sozialen Netzwerken auch scheinbare Unmutsäußerungen aus sozial schwächeren Schichten in westlichen Staaten organisiert werden können. Die gezeigten Bilder erinnern uns an eine Wiederholung der Vorkommnisse in den Pariser Banlieus und die Wirkmechanismen sind wohl die selben. Hier geht es nicht um eine Revolution, denn diese benötigt per Definition einen politischen Anlass, sondern um die Randale von frustrierten Jugendlichen. Wenn der Nordbayerische Kurier, eine der wenigen übriggebliebenen Bastionen des ordentlichen Journalismus, in seiner heutgen Ausgabe mutmasst, dass  die Arbeitslosenquote von 13% in den Londoner Stadtvierteln für die Ausschreitungen verantwortlich sei, so zwingt sich mir sofort die Gegenfrage auf, warum führen dann die 12,5% durchschnittlicher Arbeitslosigkeit in Rostock nicht zu den selben Zuständen. Ich denke es ist zu kurz gesprungen, wenn nur die Arbeitslosigkeit herangezogen wird. Die Gründe liegen sehr viel komplexer und dienen daher nicht als Begründung der einen oder anderen vereinfachenden  Parolendrescherei.

Was wir aber beobachten können ist der Umgang mit sozialen Netzwerken auch in diesem Fall. Wenn in Deutschland schon mal hunderte versehentlich über Facebook eingeladene Jugendliche zu einer Geburtstagsparty erscheinen und quasi als Nebeneffekt randalieren, so scheint das gleiche mit dem primären Zweck der Randale in Großbritannien möglich zu sein. Anders als bei Rebellionen oder Revolutionen geht es bei diesen Randalen nur um die Beschädigung oder die Plünderung. Es gibt keine ‚politischen‘ Ziele, nur den Wunsch der Zerstörung. Wenn sich dann heute im Morgenmazin der ARD und ZDF eine sogenannte Korrespondentin hinstellt und vom Unvermögen der Polizei spricht die Randale zu unterbinden, so muss man sich allen Ernstes fragen ob Recherche und Befragung mittlerweile aus dem Repertoire der Journalisten verschwunden sind und sich selbst die sogenannten Qualitätsmedien, ähnlich wie die private Konkurrenz, auf die reine Kommentarfunktion der Ereignisse beschränken. Fakt ist, dass die Unruhen taktisch verteilt über das ganze Stadtgebiet auftreten. Fakt ist, dass es wohl wenige Polizeiorganisationen gibt, die sich so gut auf solche Situationen verstehen wie die in Großbritannien, da der nordirische Konflikt und die seit langer Zeit organisierten Fußballfirmen einen breiten Erfahrungsschatz anreicherten. Es gelang den Polizeikräften innerhalb von einem Tag 1.700 zusätzliche Polizisten in London einzusetzen. Das funktioniert in Deutschland wahrscheinlich nur zu spätestens drei Wochen vorher angekündigten Demonstrationen. Die Met (Londoner Polizei) berichtet heute von 400 festgenommenen Personen, 69 von ihnen aufgrund von Plünderung oder Gewalt gegen Personen. Im Fall eines versuchten Mordes gegen einen Polizisten, der versuchte Plünderer zu stoppen, wird gerade noch ermittelt. Von einer untätigen Polizei kann daher in meinen Augen nicht die Rede sein.

Es zeigt sich, dass soziale Netzwerke dazu helfen können Verbrechen zu organisieren und mehr noch sie können dazu helfen Verbrechen für die Verbrecher zu rechtfertigen.Die Theorie des sozialen Lernens geht davon aus, das als Teil des Sozialisationsprozesses, wir von unserer uns umgebenden sozialen Gruppe (peer group) lernen was gut und was falsch ist. Studien zeigen, dass soziale Netzwerke dazu führen können, dass wir von einer peer group lernen die von der Norm abweichende Werte hat. Diese Werte nimmt der Einzelne dann ohne zu hinterfragen an und, was bedeutend schlimmer ist, übertragt diese werte dann von der virtuellen in die reale Welt. D’Ovidio et al. (2010, Adult-Child Sex Advocacy Websites as Social Learning Environments: A Content Analysis in International Journal of Criminology 3(1): 421-440) fanden heraus, dass Websiten, welche als Austauschplattform von Pädophilenen genutzt wurden durch Neutralisationstechniken den Übergriff Erwachsener auf Kinder rechtfertigten und diese Rechtfertigungen dann auf die reale Welt übertragen wurden. Jugendliche lernen als Werte von der sie umgebenden peer group. Wenn Eltern und Familie als primäre peer group die eigenen Kinder nicht früh Werte vermitteln, oder auf den kritischen Umgang mit dem Verhalten anderer schulen, oder sich vielleicht sogar ganz aus der Wertevermittlung zurückziehen, dann werden die Freunde die Gruppe von der ein Jugendlicher lernt. Sollten diese Freunde dann aber eine Straßengang, ein Haufen Rechtsextremer oder eine Gruppe religiöser Fanatiker sein, dann werden eben deren Werte als Massstab überommen. Im Hinblick auf London kann eine Ursache darin liegen, dass die Jungendlichen in den virtuellen sozialen Netzwerken ihre peer group gefunden  haben. Wenn in dieser peer group Vandalismus als Mittel der Aggression akzeptiert ist, dann könnte das bei den einzelnen Jugendlichen zu einer Verzerrung der Hemmschwelle gegen solche Straftaten (Expressive Crime) geführt haben. Wir sehen also nicht die sozialen Netzwerke sind die Ursache, sie sind ein Mittel. Ein Mittel sich zu organisieren. Ein Mittel sich zu Straftaten zu verabreden. Kommunikation wie früher das Telefon. Nicht mehr und nicht weniger.

In den Nachwehen der Londoner Ausschreitungen wird es zu Forderungen nach der Einschränkung der sozialen Netzwerke kommen. Wie jedes Mal, wenn etwas passiert, dass zu komplex ist um eine Lösung in einem Satz zu formulieren, wird die Riege der  Polemisierer, Verbieter und Einschränker auf den Plan treten und das Verbot von Facebook und Twitter fordern. Ähnlich wie es bei Amokläufen in Schulen mit Computerspielen längst eingespielte Praxis ist. Einfach Lösungen, um die eigentliche Problematik nicht diskutieren zu müssen. Die Eltern sind der wichtigste Bezugspunkt von Kindern. Wenn Kinder keine Wertevermittlung aus dem Elternhaus erfahren, dann übernehmen Freunde, die Massenmedien und Rattenfänger diese Aufgabe.Wir brauchen keine Bootcamps für Kinder, wir brauchen Coaching der Eltern. Kinder, welche von ihren Eltern ein solides Wertesystem vermittelt bekommen haben, werfen keine Molotowcocktails auf Menschen oder plündern Flachbildfernseher. Wenn Eltern verstanden haben, dass Bildung das ist was ihren Kinder den Zugang zu guter Lebensqulität und dem Verstehen der komplexen Wirkmechanismen dieser Welt ermöglicht, dann werden sie alles tun um ihre Kindern dorthin zu bringen. Und nur dann werden Sie diese Hilfe auch annehmen. Jemandem der sich nicht helfen lassen will kann auch keiner helfen. Deshalb ist es wichtig bei den Eltern anzufangen.

Just my 2 cents

Thor(sten)

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